König der Tiere

Ich war mit meinen Kindern im Zoo. Es war viel zu heiß und am beeindruckendsten hat uns das die Löwin klar gemacht, die ihr weißes Bauchfell und alle vier Beine der Sonne entgegengestreckt und ihre Bewegungen gänzlich auf ein gelegentliches Ohrenzucken eingeschränkt hat.

Das war recht hübsch aber langweilig anzusehen, so dass ich mir das Schild mal durchgelesen habe, obwohl ich mir einbilde, schon genug über Löwen zu wissen.

Da stand, dass wir Menschen den Löwen für so beeindruckend halten, dass wir ihm den Beinamen "König der Tiere" gegeben haben. (Das wusste ich schon.) Und dass das nicht daran liegen kann, dass er so groß ist (Tiger und Elefanten sind größer) oder so gefährlich, weil das auch alle möglichen anderen Tiere sind. Es könne - so die Schlussfolgerung auf dem Schild - nur an der eindrucksvollen Gestalt des Löwen liegen.

Hm.

Ich glaube, das ist es nicht.

Zumindest nicht, wenn man die Gestalt auf die Äußerlichkeiten beschränkt. Denn ausgestopfte Löwen sehen immer noch irgendwie beeindruckend aus, aber Könige sind sie nicht mehr. Und dressierte Tiger sind interessant anzuschauen, aber ein dressierter Löwe dreht mir den Magen um.

Ich glaube stattdessen, es ist die gelassene Selbstsicherheit des Löwenmännchens, die ihm den Titel König der Tiere verpasst hat. Nicht der Tiger, der unruhig in seinem Gehege umherstreift und jemanden sucht, um seine schlechte Laune, an ihm auszulassen. Nicht das Löwenweibchen, das sich um die Jungen kümmert und die Beute reißt. Sondern das Löwenmännchen, das mit großer Selbstverständlichkeit die Leckerbissen der Beute verschlingt und ansonsten nichts zu tun hat, als die Jungen der Hyänen totzubeißen und ein gelegentliches Gebrüll auszustoßen, das kilometerweit zu hören ist und die Grenzen seines Reiches absteckt.

Das Sinnbild eines Löwen ruht gelassen.

Weil er weiß, was er ist.

Und das ist es, was ich von dem Löwenmännchen lerne: Es gibt nur einen Weg, so zu werden, wie ich sein will. Einfach so zu sein.

Mich interessiert die Gelassenheit, nicht die Herrschaftlichkeit. Ich habe kein Interesse daran, die Hyänenjungen - äh, Nachbarskinder - zu verscheuchen und ich brauche auch nicht mein Revier abzustecken - äh, Schilder mit "Privatgrundstück" aufzustellen.

Ich will die Gelassenheit. Ich will in mir ruhen, wie ein Löwe auf einem Stein in der Sonne. Hier sein, weil ich weiß, dass ich hier hin gehöre. Selbst sicher sein, weil ich weiß, wer ich bin.

"Das weißt du aber nicht", pfeift die Maus in mir und huscht auf und davon und will an mehreren Orten gleichzeitig sein und sich auf den Winter vorbereiten und sucht Körner und Käse und flieht vor der Katze.

Liebe Gentechnik, schenk mir eine Löwenmaus.

Ich setze also die Maus auf den Stein in der Sonne, sehe zu, wie sie die Mähne schüttelt und ruhe gelassen in mir.

Comments

Hmmm...

Also genaugenommen sind Loewenmaennchen deswegen "gelassener" als z.B. Tiger weil sie schlicht und ergreifend faul sind. Und das koennen sie sich leisten, weil die Weibchen das Jagen uebernehmen. Die Maennchen koennen so ihre Zeit mit schoen-sein verbringen...

Martin

P.S.: Aber wenn man die Biologie mal beiseite laesst sehe ich den poetischen Wert in deiner Beobachtung :-).